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  • AutorenbildSabine Bobert

Tiere als Seelengefährten


Foto: Karin und Uwe Grimm



Tiere sind inzwischen Schlagzeilen wert wie „Hunde wedeln Sorgen fort!“ In der Geriatrie, Pädagogik, Psychiatrie und Psychotherapie gelten sie inzwischen als hoch kompetente, einfühlsame Therapeuten (Otterstedt 2011; Olbrich/Otterstedt 2003; Greiffenhagen/Buck-Werner 2007). Was macht sie zu Therapeuten? Sie sprechen die Sprache der Seele, die Ursprache, die unter der wortbasierten Kommunikation liegt. Sie sprechen die „Sprache der Liebenden“. „... analoge Kommunikation ist die Sprache der Liebenden, sie ist aber auch die Sprache des Kampfes, sie wird immer dann gesprochen, wenn intensives Erleben relativ ungebrochen ausgedrückt wird“ (Olbrich in: Greiffenhagen/ Buck-Werner 48).



Der seelisch zerrissene, sich selbst entfremdete Mensch begegnet dem seelisch authentischen Tier. Hund, Katze oder Wellensittich fordern ihn zur authentischen Antwort heraus und führen ihn an die Urschicht von Kommunikation zurück. „Das Tier ist für viele ein echter Gesprächspartner, dem man seine Freude, vor allem aber auch sein Leid anvertraut. Obwohl es die einzelne Information nicht versteht, fühlt es intuitiv die Stimmung seines menschlichen Partners.“ (Greiffenhagen/Buck-Werner 45) Das Tier spürt den Kummer und wertet nicht. Seine Liebe wird durch gesellschaftliche Urteile nicht eingeschränkt. Auch demente Menschen oder sprachgestörte, selbst Komapatienten, werden von der Ursprache der Seele erreicht.



Die psychiatrische Nutzung von Tieren begann Ende des 18. Jahrhunderts durch die Society of Friends. William Tuke leitete diese Quäkergruppe und gründete mit ihr die psychiatrische Anstalt „York Retreat“. Tuke schuf ein Gegenprojekt zu den damaligen Irrenhäusern, die ihre Patienten wegsperrten und züchtigten. Die 30 Kranken in York Retreat sollten sich wohlfühlen, Selbstwertgefühl aufbauen und Selbstkontrolle erlernen. Hierfür betreuten sie auch Tiere. Tuke bezog die ländliche Umgebung und Kleintiere bewusst in den Heilungsprozess mit ein.



Christlich motiviert und leiblich-seelisch ganzheitlich arbeitete man auch in der 1867 gegründeten Anstalt Bethel bei Bielefeld. Hier lebten geistig und psychisch Kranke sowie Epileptiker. Bethel besaß einen eigenen Wildpark mit Rehen, und die Kranken versorgten Haus- und Nutztiere.



In der Psychoanalyse von Sigmund Freud spielten Tiere nur symbolisch in Phantasien und Träumen eine Rolle, obgleich Freud ab seinem 72. Lebensjahr Chow-Chow-Hündinnen besaß: Lün, gefolgt von Jofie und bis zu seinem Lebensende Lün Yu. Auch Freuds Tochter besaß einen Hund: den schwarzen Schäferhund namens Wolf. Spannend ist, dass sowohl Sigmund als auch Anna Freud von ihren Hunden erwarteten, an den Therapiesitzungen mit teilzunehmen. Wolf besaß leider nur geringen therapeutischen Spürsinn. Er roch übel nach Hund und sprang und knurrte die Patienten an.



Sigmund Freuds Chow Chow Damen waren schon talentierter. Sie ertrugen geduldig seinen Tabakqualm und arbeiteten analytisch mit. Dies begann mit dem Beschnüffeln und endete kurz vor Therapieende damit, dass sie sich erhoben, auch wenn Freud die Stunde überzog, und die Patienten zur Tür geleiteten. Freud vertraute dem Spürsinn seiner Hunde: „Wen die Jofie nicht mag, bei dem stimmt was nicht“, so erinnert sich Freuds Haushälterin Paula Fichtl (vgl. Etzold). Jofie zeigte dies, indem sie sich nach dem Schnüffeln vom Patienten abwendete und knurrend unter Freuds Schreibtisch verzog.



Freud schwärmte von ihr, auch gegenüber seiner Schülerin und Freundin Lou Andreas-Salome: „Sie ist ein entzückendes Geschöpf, so interessant, auch als Frauenzimmer, wild, triebhaft, zärtlich, intelligent und doch nicht so abhängig, wie andere Hunde sein können. Man wird den Respekt vor solchen Tierseelen nicht los.“ Vor allem ihre authentischen Gefühle und ihre Echtheit im Handeln beeindruckten ihn. Hunde liebten reiner als Menschen: „Hunde lieben ihre Freunde und beißen ihre Feinde, ganz anders als Menschen, die reiner Liebe unfähig sind und jederzeit Liebe und Hass in ihren Objektbeziehungen mischen müssen.“ So erlebte Freud „bei aller Fremdheit der organischen Entwicklung doch das Gefühl einer innigen Verwandtschaft, einer unbestrittenen Zusammengehörigkeit.“



Reflektierter als Freud setzte erst der US-amerikanische Kindertherapeut Boris Levinson seinen Golden Retriever Jingles und später weitere Tiere im therapeutischen Setting ein (vgl. seine Standardwerke zur tiergestützten Therapie: Levinson 1969, ders. 1972). Die Erfolgsgeschichte begann mit einer zufälligen Beobachtung bei einem Jungen, der bislang erfolglos von anderen Therapeuten behandelt wurde. Er sollte, zur Verzweiflung seiner Eltern, in ein Heim für psychisch kranke Kinder gegeben werden. Die Eltern brachten den Jungen versehentlich eine Stunde zu früh zu Levinson als dieser noch an seinem Schreibtisch arbeitete, Jingles zu seinen Füßen. „Ich empfing die Familie sofort und vergaß meinen Hund. Der lief, ohne zu zögern, auf das Kind zu, begrüßte es stürmisch und leckte ihm das Gesicht. Zu meiner Überraschung zeigte das Kind keine Angst, sondern kuschelte sich eng an den Hund und streichelte ihn. Nach einiger Zeit fragte das Kind, ob der Hund mit allen Kindern spielen dürfe, die zu mir kämen. Als ich ja sagte, meinte der Junge, dann wolle er wiederkommen und mit dem Hund spielen.“ (Greiffenhagen/Buck-Werner 161) Durch Jingles gewann der Junge Vertrauen zum Therapeuten, und Levinson konnte über das Spiel mit dem Tier eine präzise Diagnose stellen und einen Therapieplan entwickeln. In den ersten Sitzungen spielte der Junge nur mit dem Hund. Dann übertrug er seine Zuneigung auf den Besitzer und ließ Levinson mitspielen. Der Junge wurde, entgegen allen bisherigen Diagnosen, geheilt. Ab da halfen Jingles und später weitere Tiere allen Kindern, die sich dies wünschten, bei der Behandlung mit. Die kleinen Patienten durften Jingles streicheln, füttern, mit ihm toben oder an der Leine spazieren gehen. Er setzte aggressiven Kindern Grenzen und munterte schüchterne Kinder auf. Jingles trug sehr zur ausgelassenen Stimmung während der Therapiesitzungen bei.



Auch das US-amerikanische Psychologen-Ehepaar Elisabeth und Sam Corson entdeckten das therapeutische Potenzial von Hunden zufällig. Sie wollten in den 1970er Jahren eine Stressstudie an Hunden als Versuchstieren durchführen. Die Hunde waren in einem Zwinger neben einer Klinik untergebracht. Die Corsons beobachteten, wie seelisch kranke Patienten, die bislang wortlos geblieben waren, die bellenden Hunde sehen, füttern und pflegen wollten (vgl. Greiffenhagen/Buck-Werner 162ff). Kurzerhand änderten die Corsons daraufhin ihr empirisches Forschungsziel ab in: Eine Pilotstudie zur Überprüfung der Effekte durch tiergestützte Psychotherapien. - Hierbei konnten sie auf Levinsons Berichte zurückgreifen. Die Corsons stellten fest: vor allem unzugängliche Patienten öffneten sich – oft schon bei der Nennung des Wortes „Hund“ oder „Katze“ - und reagierten sehr freudig. Die 50 Testpersonen, an denen bislang alle Therapieversuche abgeprallt waren, durften sich ein Tier wählen. Schon dies gab erste Aufschlüsse über individuelle Bedürfnisse. Bis auf drei, die kein Tier wollten, sprachen alle positiv auf die neue Therapieform an. Einer der Patienten, deren Interaktionen mit dem Tier genauer dokumentiert wurden, war Sonny, ein 19jähriger Psychotiker. Bis zu Beginn der Studie lag Sonny fast ständig reglos in Mumienhaltung auf dem Bett und antwortete, wenn überhaupt, nur schleppend, mit Verzögerungen von bis zu einer halben Minute mit „Ja, nein, ich weiß nicht“. Als ein Psychiater den Drahthaar-Foxterrier Arwyn zu Sonny brachte, setzte sich Sonny sofort auf, lächelte, und beide wälzten sich kurz darauf freudig auf dem Bett. Dann lief er dem Hund nach. Ab da ging Sonny zunehmend aus sich heraus.



Inzwischen wurde auch erkannt, wie Tiere gerade im Kernbereich der autistischen Kommunikationsstörung therapeutische Wenden einleiten. 2006 widersprach Anke Prothmann der These, dass sich autistische Kinder eher für unbelebte Objekte interessierten. Das Gegenteil ist der Fall: Sie wenden sich lieber sozialen Stimuli durch Tiere und Menschen zu. Allerdings kommunizieren sie mit ihnen auf ihre eigene Weise. Eine Studie mit Hunden erwies, dass die Kinder sogar meist selbst die Interaktionen mit dem Hund anregten. Prothmann schlussfolgert: „dass autistische Kinder keinesfalls einen angeborenen Mangel an sozialem Interesse haben. Sie bevorzugen eindeutig soziale Interaktionen vor Selbstbeschäftigung. Die Präferenz für Hunde ist überraschend, da Hunde hoch soziale, kommunikative und intentional handelnde Lebewesen sind, also genau die Kernbereiche der autistischen Kommunikationsstörung berühren. …Tiere, insbesondere Hunde, animieren autistische Kinder verstärkt zu prosozialem Verhalten und reduzieren isolierendes, selbststimulierendes Verhalten.“ (in: Greiffenhagen/Buck-Werner 171). Der Unterschied zur Kommunikation mit Menschen liegt darin, dass „Menschen … sehr oft auf der Basis mentaler Metarpräsentationen handeln“ (ebd.). Daraus schlussfolgert Prothmann, dass Autismus nicht eine allgemeine, sondern lediglich eine spezifische, diese zwischenmenschliche Kommunikationsebene betreffende Störung ist.



Literatur:


Sabine Etzold, Der Hund heilt mit, in: Die ZEIT 23.02.2006 Nr. 09/2006, online: http://www.zeit.de/2006/09/F-Hund


Boris M. Levinson, Pet Oriented Child Psychotherapy, Springfield 1969.


Ders., Pets and Human Development, Springfield 1972.


Dr. Carola Otterstedt, Tiere als therapeutische Begleiter. Gesundheit und Lebensfreude durch Tiere – eine praktische Anleitung, Stuttgart 2001.


Prof. Dr. Erhard Olbrich, Dr. Carola Otterstedt (Hg.), Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie, Stuttgart 2003.


Sylvia Greiffenhagen, Oliver N. Buck-Werner, Tiere als Therapie. Neue Wege in Erziehung und Heilung, Mürlenbach 2007.



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