Franziskus und der Sultan
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  • AutorenbildSabine Bobert

Franziskus und der Sultan

Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen,

aber er war nicht dort.

Ich ging zu den Tempeln der Hindus

und zu den alten Pagoden,

aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden.

Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern,

aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden.

Ich ging zur Kaaba in Mekka,

aber dort war er auch nicht.

Ich befragte die Gelehrten und Philosophen,

aber er war jenseits ihres Verstehens.

Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als ich ihn sah.

Er ist nirgends sonst zu finden.

Rumi


Franziskus und der Sultan


Der Engel des Herrn

Das Angelus-Gebet

Im Jahre 1219 reiste der heilige Franziskus in die von Kreuzfahrern belagerte ägyptische Hafenstadt Damiette und sprach dort mit Sultan Al-Malik al-Kamil Muhammad über Frieden. Zu dieser Zeit gab es dort blutige Schlachten zwischen Kreuzfahrern und den „Ungläubigen“, das hieß den Muslimen.

Eine der ältesten Quellen für die Begegnung von Franziskus und dem Sultan ist eine im

Jahre 1228 verfasste Biographie von Thomas von Celano über den Ordensgründer. Diese Biographie besagt, dass der Sultan Franziskus und seinen Gefährten sehr ehrenvoll empfangen habe. Er erkannte in Franziskus einen außergewöhnlichen Menschen und wurde von dessen Worten im Innersten berührt.

Sultan Al-Malik al-Kamil galt als einer der bedeutendsten muslimischen Herrscher des

Mittelalters. Er war im Jahre 1219, so wie auch Franziskus noch jung an Jahren. Er war

hoch gebildet, friedliebend und bei seinem Volk wohl sehr beliebt.

Auch muslimische Chronisten erwähnen die Begegnung der beiden Männer. Eine der

muslimischen Quellen besagt, dass Sultan Al-Malik al-Kamil Anhänger des hoch

angesehenen Mystikers Fakr-Al Din Farisi war. Vermutlich war auch dieser bei der

Begegnung von Franziskus und dem Sultan anwesend.

Auch der in Spanien geborene Sufi Ibn’Arabi war zu dieser Zeit öfters am Nil. Von diesem war der berühmte persische MystikerJelalladin Rumi stark beeindruckt.

Zu dieser Zeit war Ägypten ein Zentrum des aufblühenden Sufismus. Viele dieser

muslimischen Mystiker bekleideten sich - ähnlich wie Franziskus - nur mit einem schlichten Wollstoff, lebten asketisch und strebten nach Vereinigung mit Gott. Nach ihrem Verständnis sei die Seele des Gebetes das Aufgehen des Selbst im Eins-Sein mit Gott.

Der heilige Franziskus war berührt von der Gläubigkeit und der tiefen Weisheit der Sufis.

Franziskus und Malik al-Kamil teilten offenbar die Leidenschaft für die Spiritualität der

Mystiker.

Die Begegnung der beiden großartigen Menschen fand vermutlich im September 1219

während einer Waffenruhe statt.

Bereits im November 1219 jedoch besiegte dann das christliche Heer unter der Führung des päpstlichen Legaten Kardinal Pelagius auf grausamste Weise die Stadt Damiette.

Friedensangebote des Sultans wurden nicht angenommen. Am 5. November fiel Damiette nach 18 Monaten unmenschlicher Belagerung. Die christlichen Sieger töteten die Bewohner der Stadt und versklavten die wenigen Überlebenden. Die Moscheen wurden zu Kirchen gemacht.

Zwei Jahre später ließ Kardinal Pelagius sein Heer Richtung Kairo aufbrechen. Doch die

Kreuzfahrer drohten im Schlamm des Nil unterzugehen und mussten kapitulieren. Al-Malik al- Kamil lies die Kreuzfahrer aber nicht töten. Er versorgte sie mit Nahrungsmitteln und ließ sie nach Europa zurückbringen. Ein Brief des deutschen Kreuzfahrers und späteren Bischofs Oliver von Köln beschreibt die Güte des Sultans Al-Malik al-Kamil: „Ihr tragt mit Recht den Namen Al-Kamil, der so viel bedeutet wie „vollkommen“, denn ihr vereint alle Tugenden, die ein Herrscher haben sollte.“

Man kann davon ausgehen, dass Franziskus erfahren hat, welch grausame Massaker sich im Namen Jesu in Damiette sich dann ereigneten. Bis zu seinem Lebensende hat er sich für Frieden und die Liebe eingesetzt, ist selbst zur Liebe geworden. In seinen

Ordensregeln verliert Franziskus kein einziges abwertendes Wort gegenüber anderen

Religionen Die Begegnung mit dem Sultan, die Begegnung mit den Sufis hat Franziskus tief bewegt.

Er hatte erlebt, dass mit dem Ruf des Muezzins fünfmal an die Größe Gottes erinnert

wurde. Man sagt, dass dies Franziskus zum dreimaligen Angelus Gebet bei den Christen angeregt habe. So werden auch heute noch am Morgen um 6 Uhr, am Mittag um 12 Uhr und am Abend um 18 Uhr die Glocken geläutet.

Früher war es auch bei den Christen üblich, die Arbeit niederzulegen, innezuhalten und

sich im Angelus Gebet zu sammeln.

Bereit sein, das, was man gerade tut, zum Gebet, zur Sammlung zu unterbrechen, mag

heute die gelebte Praxis der Achtsamkeit sein. Innehalten und betrachten und dann wieder zurückkommen zur Tätigkeit.

Das Angelus-Gebet beschreibt, dass ein Engel in das Leben Marias tritt. Er bringt ihr eine Botschaft. Gott fragt bei ihr an.

Maria antwortet. Sie bezeugt ihre Bereitschaft für das Handeln Gottes mit ihr. Gott wird

Fleisch. Gott verkörpert sich durch das „Ja“ Marias in Jesus Christus.

Für mich ist dieses Gebet eine Einladung zu einem Geschehen, das sich immer und

immer wieder ereignen kann.

Die Frage lautet: Bist du, genau du, bereit, dass Gott sich - welchen Namen auch immer du für ihn gefunden hast - in dir verkörpert?

Die Liebe fragt uns - und wir sind frei zu antworten mit unserem Leben. Menschen wie der Sultan und Franziskus haben sich für die Haltung der Liebe entschieden. Ich denke, dass es in uns den Sultan und Franziskus und auch den Kreuzfahrer gibt.


Deine Aufgabe ist nicht, die Liebe zu suchen,

sondern nur all die Hindernisse in dir zu suchen

und zu finden, die du dagegen aufgebaut hast.

Rumi


Dass es sein kann, dass in uns Kräfte wirken, die Besitz ergreifen wollen, Macht erlangen wollen und dass in uns ebenso eine Kraft liegt, die die Größe der Liebe zu erkennen vermag. Lassen wir uns lehren, nähren und stärken von Franziskus und dem Sultan, von den Mystikern gleich welcher Religion. Lasst uns bereit sein, der Liebe zu dienen.

Das Angelus Gebet erinnert mich an die Begegnung zwischen Franziskus und dem

Sultan. Es erinnert mich mit seinem Geläut daran, jetzt innezuhalten, mich zu entscheiden zwischen Krieg und Frieden, mich zu entscheiden, die Hindernisse der Liebe zu suchen und zu finden, die Einheit mit Gott zu finden. Mystiker zu werden.


Das Angelus-Gebet

Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft.

Und sie empfing vom Heiligen Geist.

Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade. Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Maria sprach, siehe ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort.

Gegrüßet seist du Maria…

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Gegrüßet seist du Maria…


Ich suchte nach Gott und fand nur mich selbst.

Ich suchte nach mir selbst und fand nur Gott.

Rumi


Andrea Maria Schober

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